Mit dem Konflikt in der Ukraine werden Gaskraftwerke als Brückentechnologie für die Energiewende fraglicher. Die Analysten von Enervis haben die Strompreisentwicklung modelliert, wenn Deutschland statt auf Gas den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken und AKW über die geplanten Abschaltungstermine hinaus erwägt. Der BEE hält Kohle und Atom hingegen nicht für eine Alternative zu russischem Erdgas, sondern plädiert für einen zügigeren Ausbau von Photovoltaik und Windkraft.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine geriet die Energieversorgung auf dem ganzen Kontinent ins Schlingern. Deutschland will für die Absicherung der Energiewende eigentlich auf Gaskraftwerke setzen, die die Energieversorgungssicherheit gewährleisten sollen, bis Photovoltaik, Windkraft und Speicher ausreichend vorhanden sind. Dabei ist Deutschland allerdings auf massive und verlässliche Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Nach dem Stopp der Zertifizierung der Gaspipeline „Nord Stream 2“ und der aufflammenden russischen Aggressionen auf dem Kontinent scheinen diese aber fraglicher denn je.
Vor diesem Hintergrund werden die Rufe lauter, den für Ende 2022 beschlossenen Atomausstieg zu verschieben und die noch produzierenden AKW am Netz zu lassen. Zudem sollte das Tempo beim Kohleausstieg, das die neue Bundesregierung eigentlich beschleunigen wollte, abgebremst werden. Für den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) ist dies jedoch nicht der richtige Weg und warnt vor einem „energiepolitischem Rückwärtsgang“. „Aus strategischen und klimapolitischen Gründen müssen wir dringend unabhängiger von Energieimporten werden und dafür alle Optionen im eigenen Land nutzen“, erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. „Mit den bereits ausgereiften und über alle Sektoren verfügbaren erneuerbaren Technologien besteht die Möglichkeit, unsere Energieversorgung mit großer heimischer Wertschöpfung sauber und bezahlbar dauerhaft zu sichern.“
Nach Ansicht des Verbands ist eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien möglich, auch wenn Deutschland bis 2030 seine Kohlekraftwerke abschaltet und den Atomausstieg wie geplant zum Jahresende vollzieht. „Die dezentral verteilten Wind- und Solaranlagen brauchen ein dezentrales Backup. Deshalb ist der Turbo beim Zubau der fluktuierenden Erneuerbaren Energien mit der Nutzung flexibel steuerbarer Biogas- und Wasserkraftanlagen, Speicher, KWK sowie Technologien der Sektorenkopplung zu verbinden. Das bedeutet auch einen steilen Markthochlauf von grünem Wasserstoff“, so Peter weiter.
Die Analysten von Enervis haben allerdings Bedenken bezüglich einer massivem Strompreisexplosion. Sie haben die Entwicklung an den Strombörsen auf Basis der gestiegenen und steigenden Gaspreise bis 2030 modelliert.
Das Szenario wurde in Relation zu einem möglichen Weiterbetrieb von Kohle- und Atomkraftwerken gesetzt. „Unsere Prognosen zeigen, dass wir, bei langfristig hohen Gas- und CO2-Preisen auf dem Stand heutiger Notierungen, ein anhaltend hohes Strompreisniveau sehen werden“, sagte Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der Enervis. „Gegenüber einer Referenz, in der von einem Gaspreisrückgang bis 2030 auf 25 Euro/Megawattstunde ausgegangen wurde, verdoppelt sich der Jahresbase am Stromgroßhandelsmarkt auf etwa 140 bis 160 Euro/Megawatt.“
Der Preisanstieg gegenüber dem Referenzszenario sei etwas schwächer, wenn die verbliebenen AKW weiterbetrieben würden und der Kohleausstieg deutlich verzögert werde. Der Jahresbase liege jedoch auch dann in allen Prognosejahren teils immer noch deutlich über 110 Euro/Megawatt. Die CO2-Minderungsziele 2030 werden Enervis zufolge in keinem der beiden Szenarien erreicht. Beim Erdgasverbrauch sei in den beiden Szenarien ein jährlicher Rückgang um bis zu 40 Prozent angenommen worden.
Der BEE fordert hingegen, die Planungen für den grünen Wasserstoff zu straffen und die Potenziale des Repowering bei Erneuerbaren auszuschöpfen und Hürden für einen zügigeren Photovoltaik-Ausbau zu beseitigen. Auch die Produktion von Biogas könne von 95 auf 234 Terawattstunden im Jahr erhöht werden, ohne dass zusätzlich Energiepflanzen angebaut werden müssten. Gepaart mit Methanproduktion seien sogar bis zu 450 Terawattstunden möglich. „Statt des energiepolitischen Rückwärtsgangs ist jetzt der Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren einzulegen. Wirtschaftsminister Habeck hat es auf den Punkt gebracht: ‚Sonne und Wind gehören niemandem, anders als Gas und Kohle‘. Diesen strategischen Vorteil gilt es jetzt zu nutzen“, so Peter.
Die Planungen müssten nun umgehend gestrafft, die Potenziale von Repowering ausgeschöpft und blockierende Regelungen im Bereich PV beseitigt werden. Gleichzeitig sei Flexibilität anzureizen. Allein beim Biogas könne – ohne Ausweitung des Energiepflanzenanbaus – die Produktion von aktuell rund 95 Terawattstunden (TWh) auf 234 TWh erhöht werden. Wenn das gesamte technische Biogaspotenzial erschlossen und vollständig zur Methanproduktion genutzt werde, könnten Biogasanlagen sogar bis zu 450 TWh Methan (Biomethan + Synthetic Natural Gas (SNG)) liefern. Voraussetzung sei ein „Roll-Out“ von Elektrolyseuren an Biogasanlagen. „Die heimischen Erneuerbaren Energien stehen bereit, um die Ziele der Bundesregierung rasch umzusetzen – auch im Wärme- und Verkehrssektor. Statt des energiepolitischen Rückwärtsgangs ist jetzt der Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren einzulegen. Wirtschaftsminister Habeck hat es auf den Punkt gebracht: ‚Sonne und Wind gehören niemandem, anders als Gas und Kohle‘. Diesen strategischen Vorteil gilt es jetzt zu nutzen“, so Peter abschließend.